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„Alles was nervt, muss verschwinden“ - der Trendforscher Oliver Leisse zur Zukunft des stationären Handels
Frankfurt am Main, 8.5.2019 - Multi,- Cross,- Omni- oder doch lieber Surround-Channel ? Klar, alles sehr wichtige Überlegungen bei der Digitalisierung des traditionellen Einzelhandels - denn mitmischen sollen Sie als Händler ja schon - im Internet. Aber wie Sie es auch drehen und wenden - es geht on- wie offline immer noch um Kundengewinnung, Kundenbindung und Vertrauensbildung.
Deshalb bleibt auch klassisch ganz viel zu tun. Dieser Tage gab der Hamburger Trendforscher Oliver Leisse der von ihm mitbegründeten Agentur EARandEYES ein spannendes Interview, auf das Agenturmitarbeiter Adrian Alexander Neumann auf XING hinweist.
Die Kernaussagen des Interviews, hier auf den stationären Handel gemünzt, möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.
„Alles, was nervt, muss verschwinden“, so Leisses Kernaussage - und bedient damit konsequent den kundenseitigen Gigatrend Convenience.
Was heisst das konkret?
Nun, das Rennen um den jeweils günstigsten Preis haben Online-Player längst für sich entschieden, so Oliver Leisse. Denn deren Effizienz ist für Sie als stationärer Händler nicht zu erreichen. Und auch der Besuch Ihres Geschäftes, das ewige Suchen nach einem Parkplatz und das eigenhändige „Schleppen der Waren“ - kein schöner Gedanke am Samstagnachmittag und schon gar nicht bequem. Gibt’s dann noch ein „Ticket“ oder gar einen „Rempler“ am Auto dazu - spätestens dann hat sich das ganze Manöver wirklich nicht mehr gerechnet.
Viele Händler sind schon auf den Trichter gekommen - empfangen Sie Ihre Kunden wie Freunde (oder doch zumindest gute Bekannte) und entwickeln und fördern Sie so deren Loyalität zu Ihnen und dem ganz speziellen Ambiente Ihres Geschäfts.
„Kleine Geschenke, Aufmerksamkeiten, eine herausragende und ehrliche Freundlichkeit der Mitarbeiter, unerwartete Sonderleistungen, inspirierende Probierstationen, positive Psychologie, ein umfassendes Coaching auch über die Waren-Ebene hinaus – all das muss in die große Rechnung mit einfließen.“
Ihren Kunden werden zunehmend persönliche Erlebnisse und Erfahrungen wichtiger - die Produkte kommen dann häufig erst in zweiter Linie ins Spiel. Es geht definitiv um Kommunikation, um „Austausch“ - eben von Erlebnissen und Erfahrungen - gegen die neue Währung Loyalität.
Ihre Kunden dürfen es sich ruhig etwas kosten lassen, um in Ihrem „Club Mitglied sein zu dürfen“.
Und wir dürfen uns ruhig ein Beispiel an anderen Ländern nehmen - die beim der Beseitigung der Nervfaktoren im stationären Handel zum Teil schon deutlich weiter sind als wir.
Schönes Beispiel ist immer wieder die Kassenschlange - wir haben an dieser Stelle schon mehrfach auf deren abtörnenden Charakter für das Einkaufserlebnis hingewiesen.
Warum kommen uns aktuell in Deutschland nur Beispiele wie die Self Scanning-Kassen bei IKEA und einige wenige Pendants in Pilot-Supermärkten in den Sinn - statt einer Vielzahl von unterschiedlichsten Unternehmen?
Trendforscher Leisse verweist auf die üblichen verdächtigen Vorreiter aus den USA wie „Apple Pay, Google Pay“ im Online-Bereich oder Amazon Go im stationären Segment.
Dazu kommen aber inzwischen auch chinesische Unternehmen in Gastronomie und Handel, die teilweise mit modernen Bezahlverfahren per Iris-Scan arbeiten.
Utopie? Mitnichten.
Und auch ein Zuviel an Auswahl kann im Offline-Handel verheerende Wirkungen haben. Dazu Oliver Leisse: „Der Kunde will nicht mehr, sondern die richtige, die gut vorbereitete Auswahl.“
Also überdenken Sie doch mal in Ihrem Supermarkt, ob Sie noch das 58. Müsli brauchen oder im Haushaltswarengeschäft die 35. Pfanne mit Antihaftbeschichtung in 28 cm Durchmesser?
Kuratieren des Einkaufserlebnisses im Sinne einer zielgruppengerechten Beratung - auch und v.a. über den Einkaufstag hinaus. Amazon schafft das in seinen ersten eigenen Läden durch viel künstliche aber auch menschliche Intelligenz - in Form von Produktempfehlungen. Dort werden Sie also keine Produkte finden, die weniger als vier Sterne in der Gesamtbewertung haben.
Und auch Überlegungen zu einem eigenen oder auch nachbarschaftlichen Lieferservice sollten kein Tabu mehr sein.
„Zudem werden die Grenzen zwischen einzelnen stationären Angebotsformen verschwinden. Café und Store – das kennt man ja, das ist schon erfolgreich erprobt. Aber das ist erst der Anfang: Restaurant, Akademie, Lebensmittelladen und Gesundheitszentrum verbinden sich.
Gesunde Ernährung ist der aktuell vielleicht wichtigste Trend überhaupt. Aber die Konsumenten kennen sich nicht aus und brauchen Aufklärung. Der Handel kann hier helfen – beraten, unterrichten, den Kunden anleiten, probieren lassen. Der Kunde muss aus der gestressten Bewegung hin zum entspannten Verweilen gebracht werden. Quality Time im Store verbringen. Waren erfahren und Neues lernen. Individuelle Konzepte für die neuen individuellen Kunden sind gefragt (…)
Ich freue mich auf die kleine Überraschung im Detail. Das nette Wort vom engagierten Personal, dem es darum geht, dass man im Store eine gute Zeit verbringt. Der Filialleiter, der ein wenig über den Tellerrand schaut und mich mit einer netten Ladendurchsage zum Wochenende erfreut. Oder mir, nachdem er sieht, dass ich meinen Einkaufswagen mit Obst befülle, noch eine exotische Frucht drauf legt – als Anregung für den nächsten Kauf. Es ist so einfach: Überrascht mich! Ich werde mit höheren Ausgaben und Loyalität danken.“
Kurz und knapp: Konsumenten möchten im stationären Handel v.a. authentisch wahrgenommen werden - eben als Freunde oder gute Bekannte - und entwickeln dann auch gerne Loyalität. Und das können Sie als engagierte Händler auf jeden Fall leisten.
Und noch eine kleine Anmerkung aus eigener Handelspraxis: Tappen Sie als mittelständischer Fachhändler bitte nicht in die Falle der Shop-in-Shop-Organisation, wie sie auf der Grossfläche schon seit Jahren praktiziert wird. Die Vielzahl der Kunden ist diesem herstellergetriebenen „Beratungssystem“ bislang noch nicht auf die Schliche gekommen. Aber bleiben zumindest Sie transparent - beraten Sie herstellerunabhängig - und was Sie nicht als gut und angemessen erachten, werden Sie für Ihr Geschäft ja auch nicht eingekauft haben, oder?!