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Der Food Court - Rettung des Shopping Centers?


2019-04-13 Food Court Skyline-Plaza Frankfurt am Main

Food Court Skyline Plaza, Frankfurt am Main


Frankfurt am Main, 23.4.2019 - Kurz vor Ostern publizierten die Düsseldorfer Kolleginnen und Kollegen von „Zukunft des Einkaufens“ einen Namensbeitrag von Mathias Sander, Director Leasing Strategy & Brand Cooperation bei der Dan Pearlman Group in Berlin und zuständig für Kunden aus den Bereichen Retail und Real Estate - ein ausgewiesener Experte für Shopping-Center. 

Sander setzt sich darin kritisch mit Gegenwart und Potential des ehemals über alles gehypten Handelsformats auseinander. So analysiert er unter dem ironischen Titel „Liebling, wir haben den Kunden vergessen“ die zunehmende Tristesse deutscher Malls und den Wandel hin zum Mietermarkt - dazu die magische Grenze von 500 Objekten bundesweit, die mit aktuell rund 480 Centern fast erreicht sei. 

Was also ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten geschehen und was kann man gegen den Bedeutungsverlust der Shopping Center als Handelsformat tun? 

„Frequenzschwund, die Krise der Mainstream-Mode-Konzepte, Expansionsstopp hochwertiger Textilgroßflächen, Mietmodelle und Vertragslaufzeiten sind unter Druck. Die Zaubertrank-Formel für den Branchenmix funktioniert nicht mehr, die traditionellen Zutaten sind plötzlich rar. Vielen rendite-optimierten Centern der 2000er Jahre fehlen Identität, Ideen und Inspiration. Viele Center aus den 90ern sind outdated.“

Das fasst die wesentlichen Probleme der Center sehr gut zusammen - zumal viele Shopping Malls lediglich das Bild der sie umgebenden Einkaufsstrasse spiegeln - so auf jeden Fall im Hinblick auf deren Bestückung mit Marken und Shop-Formaten. Und das wahlweise auf zwei bis fünf Stockwerken, wie beispielsweise das aktuell nach gerade mal zehn Jahren im Umbau befindliche „My Zeil“ - im Herzen einer der frequenzstärksten Einkaufsstrassen Deutschlands gelegen - eben der Frankfurter Zeil. 

Sander weiter: 

„Die von Städten lange geforderte harmonische Integration in Umfeldstrukturen muss endlich verbessert werden. Center müssen ihre abgeschotteten Fassaden öffnen, authentisch auf Augenhöhe mit Nachbarnutzungen agieren.

Ärztezentren, soziale und Familienangebote, daily leisure und Community dürfen nicht als notwendiges Übel und Flächenfüller verstanden werden, sondern als wertvolle Puzzlestücke, die den Standort für Kunden immer wieder besuchenswert machen.“

Kein Wunder, dass Mathias Sander das Berliner BIKINI in der Budapester Strasse als attraktives Rollenvorbild, als „Best Case“ mit „WOW“-Effekt ausmacht. Im denkmalgeschützten ehemaligen „Zentrum am Zoo“ geniessen die Besucher nämlich eine Einkaufsatmosphäre, die vor Überraschungen nur so knistert. Hippe, junge Marken, eine bunte und abwechslungsreiche Gastronomie und selbst eine Supermarktfiliale haben Platz gefunden in dieser Realität gewordenen Utopie eines innerstädtischen Einkaufszentrums.

Die Verbindung von Leichtigkeit, Urban Jungle und zahlreichen Überraschungsmomenten machen mir bei jedem meiner Berlinaufenthalte erneut Freude - ein Gefühl, das mich in klassischen Shoppingmalls seit ewig langer Zeit nicht mehr überkommen hat.

Und aktuell?

„Food Courts“ - vulgo: Gastronomie scheinen sich zumindest als vorübertreibender Rettungsanker für den Fortbestand der Shopping Malls anzubieten. Besucht man eine Mall seiner Wahl, stapeln sich die Besucher geradezu vor und in den Cafés, Imbissen, Döner-Ständen, Systemgastronomie und den Restaurants. 

Aber in den Geschäften drum herum - pure Tristesse - maximal Museumscharakter.

Die Übertragung der Besucherfrequenz zwischen Gastronomie-Angeboten und regulären Geschäften bleibt inzwischen im Ansatz stecken - der Tütenfaktor, also die Zahl der definitiv vor Ort einkaufenden Kunden, sinkt kontinuierlich - und illustriert die andere Seite der Medaille, nämlich den über die Erwartungen hinaus weiter rasch boomenden Online-Handel.

ECE Market Research, eine Tochter von ECE Projektmanagement, der bundesweit grössten Betreiberin von Shopping Centern, veröffentlichte bereits 2016 in Zusammenarbeit mit TNS Infratest die Studie „Gastronomie in Shopping-Centern“

Demnach nutzen 66% der Kunden bei ihrem Besuch im Shopping Center gastronomische Angebote; von diesen sehen es die Hälfte als „festes Essensritual“ an. Und 40% der Besucher eines Einkaufszentrums wählen dieses nach Art und Vielfalt des gastronomischen Angebots aus, wobei aber auch der architektonischen Gestaltung ein besonderer Wert zukommt. 

Zuletzt plagte auch das Frankfurter Shopping Center MyZeil ein in die Jahre gekommenes Gastronomie-Konzept. Seit 11. April gibt es hier aber einen Neustart - dazu die Website von MyZeil:

"Unter dem Motto 'Es ist angerichtet' lädt FOODTOPIA zum essen gehen und Verweilen in einem ganz neuen und einzigartigen architektonischen Ambiente mit urbanem Flair, lebendiger Markthallen-Atmosphäre und attraktiven Außenterrassen ein – im 4. Obergeschoss von früh morgens bis zum späten Abend."

Also, auf nach Frankfurt und Berlin - Ideen sammeln. Falls die Shopping Mall noch eine Zukunft haben soll!

„Das Ende des Konsums“ - oder: Wann wird Dornröschen endlich wachgeküsst?


2019-01-17 Siegen Oberstadt


Rüschlikon (Zürich)/Frankfurt am Main, 8.4.2019 - Nun, der Titel der Studie, die vor ein paar Wochen gemeinsam vom Schweizer Gottlieb Duttweiler Institute (GDI) und der deutschen Retail-Division von KPMG vorgestellt wurde, klingt wirklich nicht sehr versöhnlich: „Das Ende des Konsums“ wollen David Bosshart vom GDI und Stephan Fetsch von KPMG gemeinsam mit ihren Co-Autoren Karin Frick und Holger Wildgrube ausgemacht haben. 

Alles nur Panikmache? 

Schauen wir mal genauer hin. Der Blick der Autoren richtet sich 20-30 Jahre in die Zukunft. Virtuelle Erlebnisse kann jeder Konsument wo auch immer erleben - technisch ermöglicht per implantiertem Chip oder ähnlicher technischer Verfahren. Synthetisch und immersiv - ja klar, aber deshalb bloss Science-Fiction? 

Natürlich haben auch die Autoren keine Kristallkugeln auf ihren Schreibtischen stehen, aber denken Sie doch einmal daran, wieviele klassische Geschäftsmodelle in den vergangenen Jahren nahezu verschwunden sind. Die CD feiert heuer z.B. ihr 40-jähriges Jubiläum. CD? Ah, diese kleinen Silberscheiben, die von einem Laser abgetastet wurden - berührungs- und deshalb verschleissfrei. Die grosse Revolution in der damaligen HiFi-Welt. 

Und heute? Mit dem Aufkommen des iPods und ähnlich handlicher MP3-Spieler war Musik auf einen Schlag von ihrem physischen Trägermedium entkoppelt - und man konnte sich die Musik sogar gut anhören, wenn auch einige High End-Puristen und Messingenieure uns das Gegenteil weissmachen wollten. Aber damit nicht genug: Streamingdienste lösten sukzessive den Download von Musikdateien ab - jetzt musste man die Musikdateien noch nicht mal mehr im juristischen Sinn besitzen. Eine monatliche Abogebühr tut es - und wem auch das noch zu teuer scheint, lässt seinen Hörgenuss eben hin und wieder durch kleine Werbeeinblendungen unterbrechen - lästig, aber was soll’s? Merken Sie etwas? So ganz klammheimlich wurden die klassischen Musiklabels wie Sony, EMI BMG entmachtet - eine Fusion in diesem Bereich jagte die nächste. Aber keine half gegen das neue disruptive Geschäftsmodell der Streaminganbieter. 

Und die Künstler? Sie werden nach wie vor benötigt, verdienen aber mit ihren Musikkonserven kaum noch Geld. Das muss dann wiederum ganz analog durch Konzerte reinkommen. je mehr, desto besser. 

Aber wie schauen die Ergebnisse der vorliegenden Studie aus? Bereits bestehende Entwicklungen im Handel werden intelligent mit aktuellen Technologien und deren Zukunftspotentialen verwoben. Nicht fehlen dürfen hier die Künstliche Intelligenz, Neurotechnologie, Mixed Reality (also die nächste Entwicklungsstufe nach der Virtual Reality) und weitere Basistechnologien. Konsequenz: die „Entortung des Konsums“, so die Autoren. 

Unschwer zu verstehen, dass bei dieser Art von Erlebniswelten der Händler von nebenan - aber auch womöglich klassische Markenartikelhersteller - in dieser künftigen Konsumwelt nur noch Statistenfunktion haben werden. 

Natürlich kommen uns an dieser Stelle Titel wie Huxleys „Schöne neue Welt“ oder Postmans „Wir amüsieren uns zu Tode“ in den Sinn - und warum auch nicht? 

Physische Grundbedürfnisse werden natürlich auch in dieser für den Handel dystopischen Zukunft befriedigt werden müssen - aber deshalb an jeder dritten Strassenecke eine Filiale von REWE, EDEKA, ALDI oder LIDL? 

So verorten die Autoren auch einen verbreiteten Attentismus innerhalb der Händlerschaft - ein Phänomen, das jedem bekannt ist, der sich mit dieser Branche beschäftigt. Solange es noch nicht richtig im eigenen Gebälk knirscht, geht’s munter weiter - „wie haben das doch schon immer so gemacht“. 

Und gerade hier setzt eine massgebliche Kritik der Studienautoren ein: Informationen über Märkte und Kunden bzw. deren Verhalten werden demnach immer wichtiger - „Schlüsselfaktor Datenreichtum“. Nur so könne der mobile und multihybride Konsument künftig erreicht - oder besser: „eingefangen“ werden? 

Gerade wird in Deutschland der Grundstein für die unbedingt notwendige basale Infrastruktur gelegt: die Versteigerung der Frequenzen für die 5G-Mobilfunknetze. Internet of Things - was willst Du mehr? Nur auf dieser technologischen Folie lässt sich die in der Studie künftig erforderliche „Zeitlogistik“ ausrollen und umsetzen. Eine immense Herausforderung auch in unserem Denken, hat Logistik doch traditionell viel mit Zeit, aber noch mehr mit dem Überwinden von Raum zu tun. Auch hier seien chinesische wie amerikanische Unternehmen schon deutlich weiter als ihre deutschen Kollegen. Und immer wieder Daten, Daten, Daten. 

Wann endet der Dornröschenschlaf endlich auch im deutschen Handel?

titelbild ende des konsums studie


GDI-Studie Nr. 46 / 2019 -
Herausgeber: GDI Gottlieb Duttweiler Institute, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
Autoren: David Bosshart, Karin Frick, Stephan Fetsch, Holger Wildgrube

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