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Update: Amazon Go - Supermarkt ohne Kassen

2018-01-20 Graphik-Amazon Fresh Screenshot

Quelle: pixabay.com - Abbildungen Public Domain bzw. gemeinfrei nach CC0 1.0 Universell (CC0 1.0) / Screenshot der Amazon Go-App / Montage: Michael Borchardt


Seattle, 22.1.2018 - Seit langem arbeitet Amazon an seiner ganz eigenen Version des Supermarkts 2.0: bequem für die Kunden, keine Kassen, deshalb auch keine Warteschlangen - aber auch keine KassiererInnen mehr. Einkaufswagen oder -körbe sucht man hier ebenfalls vergeblich.

Ein ungewohntes Bild in der 7th Street in Downtown Seattle: die Kunden checken am Eingang des rund 170 Quadratmeter grossen Amazon Go-Supermarkts mit ihrem Smartphone ein, dazu muss darauf die App „Amazon Go“ installiert sein. Auch dieser Vorgang läuft bereits (fast) vollautomatisch ab: beim Durchschreiten einer halbhohen Lichtschranke verbindet sich das KI-System des Ladens durch Einscannen des individuellen QR-Codes auf dem Bildschirm der App; der Kunde wird im gleichen Moment vollautomatisch erkannt und sein virtueller Kassenzettel für den Einkauf in der App angelegt.

Auf seiner anschliessenden Shopping-Tour durch Amazon Go wird jeder Kunde auf Schritt und Tritt von intelligenten Kameras überwacht und begleitet. Davon gibt es im Supermarkt der Zukunft hunderte. Sie erkennen zuverlässig, welche Waren die Kunden in ihre Einkaufstüte packen oder wieder zurück ins Regal stellen. 

Nach dem Einkaufsbummel verlässt der Kunde einfach den Laden - und gut ist. Wenn er nicht möchte, muss er während des gesamten Einkaufs mit keinem Menschen sprechen. Das mag sich im ersten Moment etwas nach Ladendiebstahl anfühlen, wie Britta Weddeling in Handelsblatt online vom 23.1.2018 über ihren Selbstversuch berichtet: 

"So fühlt sich Ladendiebstahl an. Der Kunde greift Joghurt, Ananas und ein wenig Huhn aus dem Kühlregal, lässt die Lebensmittel einfach in der Tasche verschwinden und geht Richtung Ausgang. Niemand hält ihn auf, als er - ohne an einer Kasse Geldbörse oder Kreditkarte zu zücken - das Geschäft verlässt. Sanft und vollautomatisch schwingen die gläsernen Eingangspforten zurück. ‚Sie können jetzt gehen – wirklich‘,  feuert ein Schriftzug über der Tür noch den letzten Zweifler an“.

Eine Dystopie, Disruption oder einfach konsequente Weiterentwicklung des klassischen Shoppings? Nun - dem Hypertrend „Convenience“ wird so auch bei Amazon Go breiter Raum gegeben. Und der eigentliche Kauf- und Bezahlakt, der ja immer auch ein klein wenig das psychische Grundmuster des Zurückhaltenwollens von Geld beinhaltet, ist so schon fast verschwunden.

Und die Konsequenzen für die Privatsphäre der Kunden? Kathrin Werner weist in der Online-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 22.1.2018 darauf hin, dass die Kunden Amazon bislang bei sämtlichen Neuerungen gefolgt seien, unabhängig davon, wieviel der US-Konzern dabei auch über ihr individuelles Verhalten gelernt haben mag. Amazon Go bietet so nur weiteres „Futter“ für die rapide lernenden Algorithmen des Konzerns - und testet behutsam, wieweit Amazon-Kunden sich diesen öffnen möchten.

Kein Zweifel - Amazon Go dürfte auch bei seiner Premiere in einer deutschen Grossstadt ein durchschlagender Erfolg werden: „Sie können jetzt gehen - wirklich“.


Video mit ersten Praxiserfahrungen von Shara Tibken, c|net

Nudging im E-Commerce - oder der letzte Zentimeter auf dem Weg zum Kauf

Quelle: pixabay.com - Abbildung Public Domain bzw. gemeinfrei nach CC0 1.0 Universell (CC0 1.0)


Frankfurt am Main, 20.1.2018 - Was zum Teufel, werden Sie sich vielleicht fragen, haben denn die Verhaltenswissenschaften mit unserem Handelsthema zu tun? Nun, eine ganze Menge. Denn von Soziologen, Psychologen, Kognitions- und Neurowissenschaftlern über Verhaltensbiologen und -anthropologen bis hin zu Computerwissenschaftlern erwarten wir konkrete Aufschlüsse, Thesen und Erklärungen, wie und warum sich unsere Kunden so verhalten wie sie es nun mal tun. Und nicht zuletzt wünschen wir uns ausgefeilte Anreizmodelle, um die Lust unserer Kunden auf den Konsum zu befördern. Zu trivial? Keineswegs!  

Stellen Sie sich vor, ein Kunde surft auf Ihrer Shopseite herum, schaut mal in jene Produktkategorie, mal in jene, legt vielleicht schon ein paar Artikel in sein virtuelles Warenkörbchen, macht sich dann aber aus mehr oder weniger unerfindlichen Gründen aus dem Staub - verlässt also Ihre Seite wieder, ohne gekauft zu haben. Dumm gelaufen, könnte man denken.

Hier kommt ein neues Steckenpferd der Verhaltenswissenschaftler ins Spiel: das sog. Nudging. Klingt niedlich, hat es aber in sich. Genauer gesagt geht es um die Berührungspunkte zwischen Nudging (also dem „Anstupsen“ oder „Schubsen“) und „Big Data“. Dabei erlaubt der Einsatz von Software wie Nudgr, „Kunden (…) möglichst lange auf den Webseiten von Online-Shops [zu] halten (Irgmaier, Florian/Ulbricht,Lena: "Big Data und Nudging. Kommt der digitale Überwachungsstaat?“. In: WZB Mitteilungen, 2017, H. 158, S.15) und dabei ihre Maus- und Klickbewegungen auszuwerten. Deuten die parallel lernenden Algorithmen das Verhalten des Kunden auf der Shopseite dahingehend, dass dieser gerade im Begriff ist, die Seite zu verlassen, blendet Nudgr z.B. ein Pop-Up-Fenster ein, dass den Kunden mit einem Rabattangebot auf den Seiten halten soll (ebda.). 

Interessant scheint hierbei, ein bestimmtes Kundenverhalten positiv zu diskriminieren: nur die potentiell „abwanderungswilligen“ Kunden bekommen das Goodie angeboten, nicht jene Nutzer, die (datengestützt) bereit wären, den regulären Kaufpreis zu zahlen. Internet-Guru Sascha Lobo wird an gleicher Stelle zur Kombination von Nudging und Big Data mit der Einschätzung zitiert, dass es sich hierbei um ein „Gängelungsinstrument des digitalen Alltags“ handele, um ein „Amalgam der Bevormundung“ (kompletter Beitrag von Sascha Lobo in Spiegel Online).

Das lässt sich nicht gänzlich von der Hand weisen - und dennoch kommen wir auch künftig nicht um die Optimierung von Konversionsraten beim Online-Shoppen herum - mit oder ohne Nudgr.

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