RetailWatch - Aktuell
Geht Rocket Internet der Treibstoff aus?
Berlin/München, 26.2.2017 - Zeitung lesen bildet bekanntlichermassen - so auch dieses Wochenende speziell der Beitrag „Der letzte Schrei“ von Caspar Busse in der Süddeutschen Zeitung.
Die Story ist schnell erzählt: jahrelang hatte Oliver Samwer (und auch seine Brüder Marc und Alexander) ein goldenes Händchen wenn es darum ging, sich als Investor an Start-ups mit teils abenteuerlichen oder skurrilen Geschäftsmodellen zu beteiligen, daraus grosse und umsatzstarke Unternehmen zu formen und diese dann an die Börse zu bringen oder an alternative Kapitalanleger zu verkaufen. Das Vehikel für diese Aktivitäten heisst seit 2007 und bis heute Rocket Internet SE, ein an der Frankfurter Börse im Prime Standard notiertes Unternehmen - CEO Oliver Samwer.
Seit einiger Zeit scheint der Investorenrakete aber der Treibstoff auszugehen, berichtet Caspar Busse:
„Seit dem Börsengang im Herbst 2014 ist der Aktienkurs von Rocket Internet nach unten gegangen. Die Verluste steigen und steigen, in den ersten neun Monaten 2016 sind es 650 Millionen Euro. Die Aktionäre sind unzufrieden, es gibt immer wieder Streit. Etliche Weggefährten haben das Unternehmen verlassen.“
Vor knapp einer Woche trennte sich auch der langjährige schwedische Co-Investor Kinnevik von der Hälfte seiner Rocket Internet-Aktien - dort sehe man einen Interessenkonflikt in den Geschäftsstrategien der beiden Unternehmen.
Kein Wunder, ursprünglich galt Rocket Internet als Gründer bzw. Trüffelschwein für spannende Start-ups - häufig nach amerikanischem Vorbild; Kinnevik hingegen als klassischer Investor.
Inzwischen haben sich die Rollen angenähert; Rocket Internet investiert selbst in aktuell rund 100 Online-Unternehmen in Europa, Asien und Afrika und tritt damit als Beteiligungsfirma in direkten Wettbewerb zu Kinnevik.
Dabei haben die beiden Unternehmen eine lange gemeinsame Vergangenheit - Zalando, Westwing, Home24, Delivery Hero, Hello Fresh - und viele weitere Investments.
Diese Kooperation scheint nun nicht zuletzt aufgrund der aggressiven und forschen Geschäftspolitik Oliver Samwers vor dem Aus zu stehen - einige Zitate mögen als Illustration dienen:
„aggressivste(r) Mann im Internet“ (Selbstbeschreibung Oliver Samwer)
„Die Faszination des Neuen ist weg, die Magie fehlt“ (ehemaliger Weggefährte)
„Normalität mag er nicht“ (der gleiche ehemaliger Weggefährte)
„One-Trick Pony“ (über Samwer)
„freundliche Grundaggressivität“ (über Samwer)
„Geschäfte sind Mittelalter, sie wurden nur gebaut, weil es kein Internet gab“ (Oliver Samwer)
„Wenn ihm jemand mit schwachen Argumenten kommt, dreht er durch“ (ein Berliner Gründer)
„Oft hat er recht, aber Ollies Urteile sind unerbittlich“ (der gleiche Gründer)
„Mit Druck kann ich gut umgehen, das bin ich gewohnt“ (Oliver Samwer)
„Wir sind davon überzeugt, dass wir mit Rocket Internet auf dem richtigen Kurs sind, auch wenn es unterschiedlich viel Wind und unterschiedlich hohe Wellen gibt“ (Oliver Samwer)
„Auch das Römische Reich ist irgendwann zu gross geworden“ (Geschäftspartner)
„Früher war Rocket Internet wie eine Klassenfahrt ohne Lehrer“ (ehemaliger Mitarbeiter)
„Das war schon damals ein prima Kerl, der wollte von Anfang an Unternehmer werden“ (Horst Albach, emeritierter Professor für Betriebswirtschaftslehre über Oliver Samwer)
„Seine Stellung ist stärker denn je“ (aus dem Umfeld Samwers)
Frühjahrsmesse AMBIENTE - Grösse über alles?
Frankfurt am Main, 15.2.2017 - Monatelang bereiten sich deutsche und internationale Aussteller auf ihren Auftritt auf der Frankfurter Frühjahrsmesse, der AMBIENTE, vor: ein möglichst optimaler Standplatz in einer der angesagten Hallenebenen sollte es dann schon sein. Das bedeutet intensive Gespräche mit den jeweils verantwortlichen Verkäufern und Verkäuferinnen der Frankfurter Messe und ein teilweise jahrelanges „Hochdienen“ bis zum gewünschten Standort. Gerade die Hallen 9 und 11 (und Hallen 3 und 4 bei der GPK-Branche) sind bei Ausstellern und Besuchern sehr beliebt, zielen sie doch mit ihrem Ausstellungsangebot auf eine höhergenrige Händlerschaft mit designorientierter wie kaufkräftiger Endverbraucher-Klientel ab.
Anschliessend die Konzeption und Umsetzung des Messestandes - (Innen-)Architekten, Messe- bzw. Ladenbauer, Handwerker und nicht zuletzt die Transportunternehmen - erst die Kooperation mehrerer Branchen ermöglicht als Abschluss den grossen Auftritt auf der AMBIENTE. Zwei bis drei Tage Auf- und Abbau der Stände, dazu die fünf Messetage selbst - auch von den Nebenkosten her gesehen kein ganz preiswertes Vergnügen. Da kommen bei mittelgrossen Ständen in summa schnell schon einmal hohe fünf- oder gar sechsstellige Summen zusammen. Und die wollen dann ja auch während der Messe (oder durch ihr noch nachfolgende Orders) erst einmal eingespielt werden.
Und da beginnen auch die aktuellen Probleme, denn das geschilderte Grundmodell einer funktionierenden Messe lässt sich nach Einschätzung der rund 50 von mir während der AMBIENTE interviewten Aussteller in den Hallen 3, 9 und 11 immer seltener umsetzen.
Die Gründe hierfür entziehen sich einfacher Betrachtungen. Vielmehr scheint ein ganzes Bündel von Ursachen dem Phänomen zugrunde zu liegen.
Beginnen wir mal mit überschaubaren Entwicklungen der vergangenen Monate auf Händlerseite: In Deutschland (und vielen weiteren europäischen Ländern) ist das Weihnachtsgeschäft vor Ort im langjährigen Vergleich überaus mau gelaufen. Der klassische stationäre Handel gab auch im November und Dezember 2016 weiterhin Anteile des Einkaufsvolumens an den E-Commerce ab. Die Angst vor Terroranschlägen hielt viele einheimische Kunden aber auch Touristen vom Einkauf in normalerweise stark frequentierten Einkaufsvierteln ab. Eine partielle Kompensation gelang hier sicherlich v.a. den grossen Möbelhäusern auf der grünen Wiese mit ihrem immer stärker werdenden Randprogramm sowie Händlern einzelner Einkaufszentren bzw. Shopping-Malls.
Unerfreulicherweise schloss sich bei vielen Präsenzhändlern ein ebenfalls umsatzschwacher Monat Januar an - beides, also schwaches Weihnachtsgeschäft wie schwungloser Jahresbeginn, drückte auf die Liquidität der Händler. Die in Deutschland übliche Umsatzststeuerabführung aus den Dezemberumsätzen am 10. Februar des Folgejahres- also pünktlich zu Messebeginn - belastete die Situation gerade für kleinere und mittelgrosse Händler zusätzlich - monetär wie psychologisch.
Dazu konkurrierten bereits zu Beginn des neuen Jahres die Regionalmessen in München, Hamburg und Dortmund um Gunst und Budgets der Einkäufer, dazu die Frankfurter Paperworld, Christmasworld und die Pariser Maison & Objet. Von den Textil- und Möbelmessen von Frankfurt bis Hannover, von Köln bis Stockholm wollen wir in diesem Zusammenhang eigentlich gar nicht erst reden, müssen jedoch trotzdem darauf hinweisen, weil sich auch die Portfolios der Messen laufend verändern und sich in Teilbereichen einander angleichen.
So endete die Frankfurter AMBIENTE am 14. Februar nach Angaben des Schlussberichts der Frankfurter Messegesellschaft zwar mit einem Besucherplus von 4 Prozent, gleichzeitig kamen bereits 55 Prozent der Besucher aus dem Ausland; bei den Ausstellern mehr als 80 Prozent - mit weiter steigender Tendenz.
Für die deutschen Aussteller bedeutet dies zweierlei: ihre angestammte Händlerklientel macht sich auf der AMBIENTE zusehends rar; Einkaufsbudgets werden zurückgefahren oder aufgesplittet. Ausländische Einkäufer können diesen Verlust theoretisch ausgleichen; gleichzeitig wird jedoch die Sichtbarkeit der Produkte und damit auch der Marken auf der heimischen Handelsfläche geringer.
Dazu gesellt sich wie ehedem das Problem preiswerter Kopien deutscher Produkte - aus Fernost wie Europa - wie sie mal wieder exemplarisch auf der Sondershow Plagiarius im Verbindungsgang zwischen den Hallen 5 und 6 gezeigt wurden. Nicht immer gelingt es auch gut informierten Endkunden, im Handel hier die Spreu vom Weizen zu trennen.
Als Positivum zeigte die Frankfurter Messegesellschaft (wieder einmal) ein sehr attraktives Programm rund um die Kernmesse:
- Trends 2017 - eine Sondershow in der Galleria 1 - entworfen vom Frankfurter Stilbüro Bora.herke.palmisano - Materialien, Farben und Oberflächen, in einer sinnlichen Art erlebbar und deutlich spannender, als das Pendant auf der Paperworld vor zwei Wochen.
- Design Plus Sonderedition „Ethical Style“ - direkt gegenüber der Trendshow wurde eine Ausstellung nachhaltig hergestellter Produkte präsentiert, die unterschiedlichsten Lebensbereiche umfassend.
- German Design Award - hochkarätige Sonderausstellung des Rates für Formgebung - von der faltbaren Badewanne bis zur schön designten Wasserzisterne, vom Besteck bis zum Naked Bike aus Münchner Fertigung. Ein Muss in der Galeria 1.
- AMBIENTE Academy - das Vortragsareal mit handelsrelevanten Themen in der Halle 9.2.
- Readers’ Corner - Vorträge der britischen Designer Janice Kirkpatrick (die auch das Gastland-Sonderareal im Foyer der Halle 4 gestaltet hat), Bethan Gray und Sebastian Bergne über Historie und Charakteristika britischer Produkt- und Objektgestaltung.
- Solutions - Problemlösungen für alltägliche Probleme in Küche und Haushalt (Gestaltung: Sebastian Bergne).
- Talents - Design-Newcomer in den Bereichen „Dining“, „Giving“ und „Living“.
- Next - Förderareal für junge und kreative Unternehmen der nächsten Generation.
- Accessories & Jewelry - schöne Produkte und schöne Stände - modisch und/oder kunsthandwerklich - von Schmuck, Lederwaren, Taschen und Gürteln bis zu Pflege- und Wellnessartikeln - in idealer Kombination.
- Premium-Areal in der Halle 11.1 - analog dem „Village“ auf der Hamburger Nordstil - eine Kooperation designorientierter deutscher inhabergeführter Aussteller.
- DENSAN - „The Association for the Promotion of Traditional Craft Industries“ - ein sehr schöner Sonderstand mit handwerklich hergestellten Produkten aus Japan in der Galleria 0 - und direkt in der Nachbarschaft zur grössten Buchauswahl auf der AMBIENTE - bei DT Collection.
- Dazu kommen weitere zahlreiche Design- und Sonderschauen in oder vor den einzelnen Hallen - spannend und v.a. inspirierend für die Einkäufer.
Stellt sich abschliessend die Frage nach einem Fazit der fünf Tage AMBIENTE: gar nicht so einfach; Eindrücke wie Auskünfte waren sehr facettenreich und teilweise auch widersprüchlich.
Eine Kritik, die immer wieder von Ausstellern geäussert wurde: Betreuung und Kommunikation von Seiten der Messe liessen sich sowohl im Vorfeld als auch während der Veranstaltung stark verbessern - andere Veranstalter (auch im europäischen Ausland) seien hier bereits weiter.
Die Ausstellermischung in der Halle 11.0 gab einigen Ausstellern Anlass zur Klage - zu heterogen sei die Zusammenstellung im Laufe der letzten Jahre geworden - einige Aussteller haderten gar mit der Idee einer erneuten Teilnahme an der AMBIENTE 2018.
Konsumausgaben in Europa - Studie der Messe Frankfurt und des IFH Köln
Frankfurt am Main, 8.2.2017 - Pünktlich zur am kommenden Freitag beginnenden Frankfurter Frühjahrsmesse AMBIENTE veröffentlicht die Messe Frankfurt in der Reihe ihrer Management Reports eine Studie des IFH Instituts für Handelsforschung, Köln mit dem Titel „Konsumausgaben in Europa. Eine Studie zum Vergleich europäischer Märkte“. Auf Seite 2 führen die Autoren ein:
„Untersucht werden Marktvolumina und Umsatzentwicklung von Konsumgütern, die für die Messe Ambiente typisch sind: GPK/Hausrat, Elektrokleingeräte, Kleinmöbel, Gartenausstattung/-dekoration, Lederwaren/Accessoires und Schmuck.
Dabei werden auch die Marktstrukturen sowie die Ausgaben pro Kopf oder pro Haushalt bezogen auf die verschiedenen Warengruppen und Länder der europäischen Union verglichen. Im Fokus stehen insbesondere die Analyse von acht der größten nationalen Märkte des europäischen Wirtschaftsraums: Deutschland, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Italien, Niederlande, Österreich, Polen und Spanien.“
Die Ergebnisse des Reports sind nicht nur für Hersteller und Exporteure interessant, sondern auch für Händler, die EU-übergreifend ihre Produkte anbieten. Mit Ausnahme von Kroatien, welches als 28. und vorerst letztes Mitglied 2013 der Europäischen Union beigetreten ist, werden die Daten aller restlichen 27 Mitgliedsländer in der Studie berücksichtigt.
Downloadlink zum PDF des Management Report „Konsumausgaben in Europa“
Deutlich gerissen - Neue Studie zu Konsumentenerwartungen im stationären Handel
Frankfurt am Main, 8.2.2017 - „Frustrierte Verbraucher“ überschreibt das Fachmagazin „Der Handel“ in seiner aktuellen Ausgabe 2/2017 die Vorstellung einer Mitte Januar erschienenen Studie zur Zukunft des stationären Handels. In einer internationalen Untersuchung brachten die Experten von Capgemini Consulting unter dem Originaltitel „Making the Digital Connection: Why Physical Retail Stores Need a Reboot“ Beunruhigendes zu Tage.
Von den global befragten 6.000 Konsumenten und Handelsverantwortlichen würden im Schnitt ein Drittel lieber Geschirr spülen als Shoppen zu gehen - bei den Deutschen sind es gar 40 Prozent, die das Einkaufen im stationären Handel als unangenehme Pflicht empfinden.
Ebenfalls (nur noch) rund 40 Prozent der deutschen Verbraucher erachten den Präsenzhandel als wichtig - im Vergleich zu rund 81 Prozent der Führungskräfte in deutschen Handelsunternehmen.
Der Grund liegt auf der Hand: viele Verbraucher haben sich sehr rasch an die Annehmlichkeiten des Online-Shoppings gewöhnt und konfrontieren nun auch den stationären Handel mit ihren Erwartungen (um nur einige zu nennen):
- sofortige Warenverfügbarkeit
- Auswahl unterschiedlicher Liefermöglichkeiten nach Hause (oder an den Arbeitsplatz)
- technische Unterstützung und Kommunikation mit den Shop-Mitarbeitern an jedem Punkt der Customer Journey
- generelle Verbindung bzw. Verschmelzung der Offline- und Online-Handelswelt
Der Präsenzhandel muss vor diesen Anforderungen häufig kapitulieren und fällt damit sukzessive weiter in der Verbrauchergunst zurück.
Freilich haben auch zahlreiche Händler die Herausforderungen angenommen und versuchen, die Vorzüge der digitalen mit jener der analogen Welt zu verknüpfen, scheitern jedoch häufig an der Komplexität des Vorhabens. Sie beklagen zu langsame Umsetzung der Digitalisierungsprojekte, schwer überwindbare Hürden bei Mitarbeiterschulungen oder auch Schwierigkeiten, den Return-on-Investment (ROI) der Investitionen fair zu ermitteln.
Noch schlimmer sei, so die Autoren der Studie, dass sich investitionsbereite Unternehmen nicht mit jenen Aspekten der Digitalisierung beschäftigten, die ihren Kunden wichtig seien. So haben sie nur relativ wenige Händler identifizieren können, welche in der Mehrzahl ihrer Läden sowohl die Kundenzufriedenheit erhöhen als auch einen positiven ROI erzielen konnten.
International zögen auch vor diesem Hintergrund 71 Prozent den direkten Kauf beim Hersteller bzw. einem der Online-Versandriesen jenem im stationären Handel vor (in Deutschland 67 Prozent).
Die vorliegende Studie zeigt Händlern Wege auf, wie diese nicht nur kurzfristig die digitalen Erwartungen ihrer Kunden erfüllen, sondern sich dauerhaft in der Rolle eines „Digital Leader“ bzw. „Digital Sprinters“ behaupten können.
Metro spaltet sich auf
Düsseldorf, 6.2.2017 - So ganz aus heiterem Himmel traf der Vorschlag zur Aufteilung des Metro-Konzerns die Aktionäre auf der Hauptversammlung nicht: so stimmten denn auch 99,95 Prozent von ihnen (bzw. des durch sie vertretenen Kapitals) für eine Abspaltung der Elektronikmarkt-Sparte mit Saturn und Media-Markt in eine eigene Gesellschaft, die neu zu gründende Ceconomy.
Offiziell steht die Abspaltung unter dem Zeichen künftig besserer Wachstumschancen; beide Unternehmensteile, also Metro und Real auf der einen sowie die Elektronikmärkte auf der anderen Seite passten nach Einschätzung des Vorstandschefs Olaf Koch und seiner Führungsriege inhaltlich nicht mehr zusammen; Synergien seien längst nicht mehr zu erkennen.
Doch dürfte sich das Unterfangen, welches per Mitte 2017 umgesetzt werden soll, auch für die Privatschatullen der Metro-Führungsmannschaft lohnen: der 239 Seiten starke Spaltungsberichts des Vorstands (laut Sven Clausens Beitrag „47 Mio. Euro - Metro-Führung winkt satte Extra-Zahlung“ im Manager Magazin, zuletzt online aktualisiert am 6.2.2017) sieht im Fall der Zustimmung der HV vor:
„Konkret dürfen sich Koch und Kollegen laut Überschlagsrechnung der Seiten 125 ff. des Berichts auf ‚Auszahlungsbeträge‘ von in der Summe 'rund EUR 47 Mio.' freuen, wenn ihr Plan am Montag wie erhofft durchgeht. Wie viel der Summe auf die einzelnen Vorstände und den CEO Koch entfallen, ist dem Bericht nicht zu entnehmen. Am Rande der Hauptversammlung sagte ein Metro-Sprecher gegenüber manager-magazin.de, 30,5 Millionen Euro würden auf knapp 400 Führungskräfte entfallen, die übrigen 16,5 Millionen Euro auf den fünfköpfigen Vorstand. Angaben in anderen Dokumenten zur Hauptversammlung lassen darauf schließen, dass Koch den mit Abstand größten Anteil erhält.
Auch sonst haben die fünf Vorstände, die als Verfasser des Spaltungsberichts auftreten, nicht besonders viel Mühe gegeben, ihre Berechnung der so genannten Long-Term-Incentive-Programme (LTI) im Detail nachvollziehbar zu machen. Grundsätzlich aber speist sich die Millionen-Summe aus älteren Bonus- Programmen, deren Auszahlung nun zum Teil vorgezogen wird, sowie neuer Rechenformeln. Konkret heißt es in dem Bericht des Metro-Vorstands: ‚Die LTI-Programme sollen deshalb zum Teil abgewickelt und zum Teil an die neue Lage angepasst werden. (...) Eine unveränderte Anwendung der in den jeweiligen Planbedingungen genannten Komponenten zur Erfolgsmessung wäre nicht angemessen.‘ "
Zudem kann mit der Aufspaltung des Handels-Konzerns in zwei selbständige Unternehmen und deren künftig getrennter Börsennotiz der Einfluss des bisherigen Media-Saturn-Zweitaktionärs Erich Kellerhals zurückgedrängt werden. Der hatte mit dem Familien-Anteil von 21,62 Prozent in der Vergangenheit immer wieder versucht, wichtige Unternehmensentscheidungen zu blockieren oder in seinem Sinne zu beeinflussen. Dabei schreckte er auch vor gerichtlichen Auseinandersetzungen nicht zurück.
Dies kann jetzt allerdings Olaf Koch, der auch nach der Aufspaltung Vorstandsvorsitzender der neuen Metro bleiben und Pieter Haas, der dann CEO der neuen Ceconomy werden soll, immer noch blühen:
„Kellerhals jedenfalls hat seine Anfechtungsklage nach Informationen von manager-magazin.de bereits vorbereitet, sollten die Metro-Aktionäre am Montag auf der Hauptversammlung der Spaltung tatsächlich zustimmen. Folgt der zuständige Richter der Argumentation des Unternehmers, muss Koch seinen Plan stoppen oder zumindest modifizieren.
Möglicherweise kommt es ja aber auch noch zu einer gütlichen Einigung über den knapp 22-Prozent-Anteil, den Kellerhals samt Familie an Media-Saturn hält und der Metro von der Komplettkontrolle abhält. Nach Informationen von manager-magazin.de haben die Parteien noch im Januar Positionen ausgetauscht. Vor allem die Frau von Erich Kellerhals soll auf einen Friedensschluss drängen. Die Summe, die in den vergangenen Wochen in diesem Zusammenhang im Raum stand, ist allerdings erklecklich: Kellerhals' Mitgründer Leopold Stiefel hatte vor vier Jahren etwa 230 Millionen Euro bekommen, als er seine knapp 3 Prozent an Media-Saturn der Metro verkaufte. Bezogen auf den Kellerhals-Anteil wären das dann knapp 1,7 Milliarden Euro.“
Grundsätzlich ist die Strategie der Metro-Aufteilung jedoch nachzuvollziehen: seit Jahren schrumpften die Umsätze; Firmenbeteiligungen bzw. Töchter wurden verkauft. Zuletzt waren hiervon die Warenhaus-Kette Galeria-Kaufhof oder das Auslandsgeschäft der Metro-Tochter Real betroffen.
Paperworld in Frankfurt - viel Schatten, wenig Licht
Frankfurt am Main, 1.2.2017 - Gute Zeiten, schlechte Zeiten - nicht nur im Privatfernsehen ein Dauerthema; auch so manche Konsumgütermesse hat in diesen Tagen damit zu kämpfen, dass die guten Zeiten häufig nur noch in der Erinnerung der Aussteller und Besucher stattfinden. Das gilt leider auch für die Paperworld.
Entwicklungen in der PBS-Branche - Marktsituation
Was ist passiert? Nun, ein jahrelang schleichender Erosionsprozess der PBS-Branche (Papier, Büro & Schreibwaren) mit der Auszehrung der klassischen Fachhandelsgeschäfte und deren Standortdichte auf der einen Seite, der Einstieg ursprünglich branchenfremder Handelsformen wie Discounter, Drogeriemärkte oder Supermärkte in den PBS-Markt und auch hier ein kontinuierlich wachsender Online-Anteil - dazu grosse Cash & Carry- und Büromärkte an den städtischen Ausfallstrassen oder auf der grünen Wiese - um nur ein paar wenige Aspekte aufzuführen.
Aktuell stehen also die Zeichen der Branche auf Konsolidierung: inhabergeführte Geschäfte finden häufig keine Nachfolger mehr, Handelsverbände und -Genossenschaften kooperieren oder fusionieren gleich, der Verdrängungswettbewerb auch im Geschäft mit Geschäftskunden (B2B) wird mit harten Bandagen ausgefochten - das heisst: über den Preis mit den bekannten negativen Folgen für die Marge und damit die Investitions- und Innovationsfähigkeit.
Die Wiesbadener Fachzeitschrift „BusinessPartner PBS. Die Zeitschrift für Handel und Industrie“ lässt in ihrer aktuellen Ausgabe 1/2017 Brancheninsider zu Wort kommen und fragt deren Erwartungen für 2017 ab - rosa oder himmelblau sehen anders aus. Ungeschminkt äussern sich die Experten zu ihren Zukunftserwartungen und viele schätzen die Entwicklungen im laufenden Jahr als schwierig oder ungewiss ein.
Amazon Business seit Dezember auch für deutsche Kunden
Zudem: mit Amazon Business betritt gerade ein neuer potenter Spieler den Markt und versucht seine Erfolge aus dem Consumer-Geschäft nun auch auf die Geschäftskunden zu übertragen. Seit Dezember 2016 werden die Services in Deutschland angeboten. Hier einige Highlights aus dem Angebotskatalog (nach BusinessPartner PBS, 1/2017, S24ff.)
- spezielle Business-Preise und Angebote mit Mengenrabatten
- Bestellungen über 29 Euro werden versandkostenfrei geliefert
- Rechnungszahlung auf 30-Tage-Frist, Lastschrift oder Kreditkartenzahlung
- Website weist Netto-Preise aus; Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis
- Einrichten von Mehrfach-Nutzerkonten ist möglich, ebenfalls die Definition von Gruppen, die „Zahlungsmethoden und Versandadressen gemeinsam einsehen können“ (ebenda, Seite 25)
- Hinzufügen von beliebigen internen Auftrags- oder Belegnummern der Geschäftskunden ist möglich
- Zahlungslimits und Genehmigungsprozesse sind kundenindividuell definierbar
- individuelle Reports zur Übersicht der Einkäufe
Dazu kommt eine Reihe von Logistikdienstleistungen, die es Geschäftskunden ermöglicht, Amazon-Strukturen für die direkte Belieferung der eigenen Kunden zu nutzen:
- Fulfillment by Amazon (FBA), das heisst, die bei Amazon gelagerten Grosshändlerprodukte werden direkt bei Bestelleingang an deren Kunden konfektioniert und versendet - bislang eher ein Angebot der Händlerkooperationen oder des Grosshandels.
- Der Amazon-Business-Kunde verbessert hierdurch gleichzeitig sein Ranking im „Einkaufswagen-Feld“ und wird somit besser bei der Produktrecherche wahrgenommen.
Zweifellos dürfte dieses Angebot auch den (europaweiten) PBS-Grosshandel und dessen Struktur tangieren, denn das Amazon Business-Angebot wirkt bei allen Kinderkrankheiten schon ziemlich rund und dürfte ziemlich schnell noch runder laufen.
Investoren übernehmen Grosshändler
Aber zwischendrin ruckelt es ja auch häufig nahezu unbemerkt in der PBS-Branche: der amerikanische Büroartikel-Grosshändler Office Depot verkaufte seine Europa-Aktivitäten per 23. September 2016 an die Investment-Gesellschaft Aurelius Rho Invest DS GmbH; der Wettbewerber Staples vollzieht diesen Schritt im Laufe des ersten Quartals 2017 - Käufer von 85% der Anteile am künftig selbständigen Europageschäft des Konzerns (mit Ausnahme jenes in Grossbritannien) ist der Hedge-Fonds Cerberus Capital Management.
Grosse Häuser in unruhigen Gewässern
Bereits per 1. Juni 2015 ging das renommierte Kölner PBS-Haus Ortloff von Staples an die Händlergenossenschaft Soennecken über; kurze Zeit später versuchte Soennecken, auch das Münchner Traditionshaus Kaut-Bullinger zu übernehmen; die Gespräche scheiterten jedoch im Mai 2016. Bei Kaut-Bullinger gab es daraufhin tiefgreifende personelle Veränderungen; die Geschäftsführerposition der Kaut-Bullinger Einzelhandels GmbH wird nach dem Ausscheiden der bisherigen Geschäftsführerin Christin Lüdemann nicht mehr neu besetzt.
Und das Hamburger PBS-Traditionsunternehmen Schacht & Westerich hat sich nach seiner Insolvenz im August 2015 wohl immer noch nicht so recht „gesundgeschrumpft“.
Und mittendrin die Paperworld 2017
Jetzt kann man sicherlich nicht behaupten, dass die Planung der diesjährigen Paperworld lustlos gewesen sei. Vielmehr hat sich die Frankfurter Messe unter der Verantwortung von Michael Reichhold, der seit 2001 für die Paperworld zuständig ist, durchaus kräftig ins Zeug gelegt.
Ein attraktives Rahmenprogramm zur Messe, gut gestaltete Hallenaufteilung, die Verquickung mehrerer Fachmessen wie Paperworld, Creativeworld, Christmasworld sowie erstmals der Floradecora (Schnitt- und Kunstblumen) sollten erst einmal einen gelungenen Messebesuch verheissen.
Hallenbelegung
Beim ersten Besuch der Paperworld fallen zuerst die neu genutzten Ebenen 1.1 und 1.2 auf, die dem „International Sourcing“, also dem Einkauf für die Grossfläche oder dem Streckengeschäft gewidmet sind. Hier dominieren chinesische, indische oder Aussteller aus Hongkong das Geschehen - viele Produkte kommen uns von ihrem Design her sehr bekannt und vertraut vor. Zoll und Staatsanwaltschaft dürften hier zum Messebeginn einen arbeitsintensiven Rundgang erlebt haben.
Dieses Ausstellungsgeschehen zieht sich in die grosse Halle 3.0 weiter - allerdings haben hier auch viele europäische Hersteller ihre Stände, die nicht gerade mit dem Verkauf von Plagiaten ihre Umsätze machen, sondern ihrerseits auch häufig Opfer von Produktpiraten werden.
Die Halle 4 ist der Creativeworld gewidmet - in den angrenzenden Hallen 5.1, 6.0 und 6.1 wird es dann zunehmend „designorientierter“ - Highlight hier ist sicherlich die Halle 6.1.
Sonderschauen
Die zahlreichen eingestreuten Sonderschauen oder Vortragsveranstaltungen hinterlassen einen durchwachsenen Eindruck: während die von Angelika Niestrath am Eingang zur Halle 5.1 konzipierte Sonderschau „Mr. Books & Mrs. Paper“ sehr „handfeste“, leicht für die Papeterie-Präsentation im Buchhandel adaptierbare Themenvorschläge zeigte, gab sich die deutlich grössere Trendshow „Office + Stationary Trends 17/18“, gestaltet von den Frankfurter „Dauerläufern“ stilbüro bora.herke.palmisano, erstaunlich uninspiriert.
Zum gefühlten hundertsten Mal wurden im Bereich „stationary“ unter den Überschriften „curious funfair“ und „solid grade“ sowie im Bürobereich unter „suitable solutions“ thematische Setzungen vorgenommen, denen inhaltliche Zuschreibungen und farbliche Akzentuierungen zugeordnet, um nicht zu sagen: übergestülpt wurden. Von expressiven Farben der „curious funfair“ über naturbetonte bei „solid grade“ sowie Abschattierungen des Black & White-Spektrums mit feinen Einsprengseln von Lachs und einem sanftem Gelb bei den Office-Lösungen. Grundtenor zahlreicher Besucher: Interessant. Inspiration mag fortschrittlicher aussehen. Paris zeigt auf den Messen der Maison & Objet, wie Sonderschauen und Trend Shows inszeniert werden können - und die Besucher inspirieren.
Ähnlich unentschlossen die Office-Sonderschau „Zutaten für die Zukunft“, entworfen von André Schmidt aus Berlin, André Schmidt MATTER - Büro für Architektur und Städtebau und World Architects. Spannende Teilkonzepte, die das Arbeiten der Zukunft aufzeigen sollen, bleiben in ihrer Strahlkraft blass - auch die typographisch gut gestaltete Broschüre zur Ausstellung kann diesen Mangel inhaltlich nur bedingt ausgleichen. Allerdings: spannende und zum Teil auch sehr unterhaltsame Vorträge zahlreicher Architekten und Planer - hier und da mit stark soziologischen Schwerpunktsetzungen - vermögen neue Einblicke in die Zukunft des Büros und der Arbeit zu vermitteln und zum Nachdenken anzuregen.
Und wer die Zeit dazu fand: im Frankfurter Museum Angewandte Kunst (MAK) lief bis zum Messesonntag eine Ausstellung zum Thema: „Thinking Tools. Design als Prozess: Wie Schreibgeräte entstehen“ am Beispiel des Heidelberger Herstellers LAMY (der leider selbst nicht auf der Paperworld vertreten war).
Fazit
Was bleibt? Nachdenklichkeit über die Entwicklung einer Branche, die in unserer Wahrnehmung immer mehr an den Rand gedrängt und deren Produkte von Verbraucherseite zunehmend als schlichte „Infrastruktur“ für’s tägliche Organisieren und Mitteilen wahrgenommen werden und so ihre Eigenständigkeit als materielle Schöpfungen einer analogen Welt sukzessive verlieren. Und der Sprung hin zur Verbindung von dieser zur digitalen Welt, wie ihn auf der Messe in der Halle 6.1 beispielsweise der Mailänder Aussteller Moleskine zeigt, muss erst noch gelingen und in den Köpfen von Händlern und Verbrauchern ankommen.
Offizieller Schlussbericht der Messe Frankfurt vom 31. Januar 2017
Fotostrecke Paperworld 2017 und LAMY-Ausstellung im Frankfurter MAK