Frankfurt am Main, 12.2.2019 - Mein lieber Scholli, das war ein Marketing-Getrommel im Vorfeld der AMBIENTE - gefühlte dreizehn Monate lang kommunizierte die Messegesellschaft Neukonzeption der Hallen sowie das Rahmenprogramm. Nicht ganz erfolglos, wie Besuch und offizielle Zahlen der Messe belegen.
Bereits vor Beginn der diesjährigen Ausstellungssaison stellte Messegeschäftsführer Detlef Braun einen Management Report vor, der in Zusammenarbeit mit dem IFH Köln entstand - „Der Strukturwandel im deutschen Handel“. Diese sehr lesenswerte kleine Broschüre - die natürlich auch nicht ohne den Verweis auf die turbulente VUKA-Welt im Vorwort auskommt (sich aber meistens in der Variante des englischen Akronyms VUCA präsentiert) - enthüllt im Fortgang der Darstellung, dass in den kommenden Jahren in der Tat wenig Ziegelsteine im stationären Handel an ihrem Platz bleiben werden.
Auf der einen Seite der vom Gigatrend „Convenience“ beförderte weitere Aufstieg des E-Commerce, der dem stationären Handel bei Umsatz und Marktanteilen zu schaffen macht und diesen häufig in Kosten-/Ertragsstrukturen drückt, die ein weiteres Überleben unmöglich machen. Auf der anderen Seite ein Versagen des - häufig kleinteiligen - Fachhandels im Umgang mit den notwendigen Digitalisierungskonzepten.
Natürlich macht dieses sukzessive Ausbluten des Präsenzhandels auch der Messe Frankfurt und ihrem Konsumgüterbereich zu schaffen: denn in den Jahren 2000 bis 2017 sind schon mal flugs 100.000 Einzelhandelsunternehmen (über sämtliche Handelsformen betrachtet) über die Wupper gegangen - aktuell dürfte deren Zahl bei deutlich unter 300.000 liegen - Tendenz fallend (oder steigend - je nach Standpunkt).
Im genannten Zeitraum können aber wiederum die stationären Händler mit Multichannel-Angebot ihren Umsatz von 7 Milliarden auf 18 Milliarden Euro (2017) steigern.
Nicht zuletzt das Internet bietet den Konsumenten optimale Informationsmöglichkeiten über Produkte bzw. Dienstleistungen und drängt das traditionell vor einer Kaufentscheidung geschätzte Beratungsangebot im Handel in den Hintergrund.
Versäumt der stationäre Handel es dann auch noch, den Zug Richtung Digitalisierung in letzter Minute zu erreichen, wird es düster.
Und für die Messe: klar - die geschilderte Entwicklung hat Auswirkungen auf der Besucherseite, damit auf der Ausstellerseite und letztlich rückwirkend auf die Angebotspalette einer Konsumgütermesse wie der AMBIENTE.
Aber die Messe hat wahrnehmbar reagiert. Dabei spielt (trotz Renovierung der Halle 6) das enorm luftige Platzangebot der erstmals für die AMBIENTE genutzten neuen Halle 12 eine besondere Rolle. Über Umplatzierungen der Aussteller und Re-Integration zu heute handelsüblichen Warenwelten (v.a. auch in der Halle 11 zu bestaunen) bekommen die Besucher eine intensivere Vorstellung von ihren eigenen Präsentationsmöglichkeiten und können dadurch ihr Orderverhalten optimieren.
In objektiven Zahlen des Schlussberichtes der Messegesellschaft Frankfurt liest sich das so:
„Mit sehr guter Stimmung und gestiegenen Besucherzahlen geht nach fünf Tagen die Weltleitmesse für Konsumgüter in Frankfurt zu Ende. 136.000 Fachbesucher aus 166 Ländern orderten auf der Ambiente 2019 für ihre Geschäfte die neuesten Produkte aus der ganzen Welt, holten sich Inspirationen für die Inszenierung am PoS und Impulse für die digitale Zukunft.“
Die fünf Besuchertage der AMBIENTE spielten sich mit 306.500 Bruttoquadratmetern auf einer minimal kleineren Fläche als im Vorjahr ab (308.000). Für die einen positiv - für den deutschen Handel betrachtet sicherlich weniger: 85 Prozent der heuer 4.451 Aussteller kamen aus dem Ausland (2018: mit 4.376 Ausstellern 81 Prozent).
Im Gespräch mit Messebesuchern und Ausstellern zeigte sich jedoch ein nach Hallen und Sortiment durchaus unterschiedliches Echo: Während beispielsweise die Aussteller in der Halle 3 (GPK) und der Halle 11 (Wohndesign, PBS) mit Frequenz und Umsätzen zufrieden waren, fiel das Bild in der neuen Halle 12 und einigen anderen Hallen deutlicher auseinander. Hier kamen die Aussteller - gerade auch an den Tagen mit Einkäuferbesuchen für die grösseren Handelsformate - nach eigenen Aussagen nur bedingt auf ihre Kosten.
Dennoch - die neue Infrastruktur mit optimierter Erreichbarkeit der Hallen über die Via Mobile, Sonderschauen wie „HAND MAKE“ des diesjährigen Partnerlandes Indien, die traditionelle Verleihung des Negativpreises „Plagiarius“, Kochshows, die AMBIENTE Academy mit Fachvorträgen für neue Handelskonzepte, die Talents, die Future Thinkers, der Ethical Style Guide, den German Design Award oder auch die für das Objektgeschäft konzipierte Contract Business & Horeca bilden ein sehr professionelles Rahmenprogramm für die eigentliche Messe und belegen, dass es die Frankfurter Messegesellschaft mit ihren ambitionierten Aussagen zur Weiterentwicklung der Konsumgütermessen ernst meint.
Weniger gelungen fanden wir die Sonderschau Solutions (GPK-Produkte vor dem Eingang zur Halle 4), den Point of Experience im Verbindungsgang zwischen Via Mobile und den Hallen 3 und 4 (hier wurden Lösungen für die Digitalisierung am POS gezeigt) oder die Trendschau in der Galleria. Das hat man entweder auf anderen internationalen Messen schon mal inspirierender erlebt oder - wie am Point of Experience - war der Erkenntniswert begrenzt.
Ein paar Fragen bleiben - wie bei den vergangenen Messen - offen.
Warum findet keine „Verlängerung“ der Messe in die innovativen Geschäfte der Innenstadt statt?
Warum nutzt man nicht die aktuelle Bauhaus-Sonderausstellung im Frankfurter Museum für angewandte Kunst zum Thema „Moderne am Main 1919-1933“ - um zusätzliche Querverbindungen herzustellen. Der „Sprung“ über den Main mit der Strassenbahnlinie 16 wäre ein ganz kurzer.
Warum ergänzt man die Messeschau nicht nach dem Kölner Möbelmesse-Konzept der „Passagen“ und mietet sich in Pop up-Stores oder attraktive Veranstaltungsräume ein?
Enden wir aber versöhnlich. Auf der diesjährigen Pressekonferenz zum Start der AMBIENTE liess Detlef Braun, Messegeschäftsführer, doch noch eine spannende Katze aus dem Sack: zusammen mit dem EDI-Dienstleister nmedia und der Bielefelder EK/servicegroup baut die Messe Frankfurt einen internationalen B-2-B-Marktplatz auf, der - analog zu den Präsenzmessen - Hersteller und Händler digital vernetzen soll. Das Projekt soll unter dem Namen „nextrade“ firmieren. Hierzu die Pressemitteilung der Messe Frankfurt:
„Die digitalen Geschäftsmodelle führen zu massiven Konsolidierungen im Handel. Zwischen 2000 und 2017 mussten allein in Deutschland 100.000 Einzelhandelsgeschäfte schließen. ‚Hier sehen wir Handlungsbedarf, aber auch konkrete Stellhebel für den zukünftigen Erfolg. Deshalb möchten wir als Messe Frankfurt Aussteller und Handel mit einem neuen, digitalen Ordertool im Netz gezielt unterstützen. Als Vermarktungs- und Vertriebspartner von nmedia gibt die Messe Frankfurt Ausstellern und Besuchern der Konsumgütermessen zukünftig ein weiteres Werkzeug an die Hand, um im zunehmend härter werdenden Wettbewerb zu bestehen. Wie auch auf unseren Messen führen wir hier Angebot und Nachfrage perfekt zusammen‘, so der Geschäftsführer der Messe Frankfurt, Detlef Braun.
Gemeinsam mit nmedia, dem Marktführer im Bereich Electronic Data Interchange (EDI) in Europa, wird die Messe Frankfurt nextrade aufbauen und hat sich aus diesem Grund an der nmedia GmbH beteiligt. Bereits heute übersetzt nmedia mit dem EDI-Clearing-Center die Sprache der IT-Systeme von Lieferant und Händler und ermöglicht so die automatisierte Order von Produkten und Sortimenten. Dadurch werden Bestellungen vollautomatisiert vom System des Händlers generiert und in das System des Lieferanten gespielt. So lassen sich Ressourcen- und Kosteneinsparungen sowie Effizienzsteigerungen für die Lieferanten und Händler realisieren.
Aufbau digitaler B-to-B Marktplatz nextrade
Sämtliche führende Lieferanten und Händler sind bereits Kunden von nmedia. Somit ist es der ideale Partner zum Aufbau eines B-to-B Markplatzes für den gesamten Konsumgüterbereich. Für den Aufbau von nextrade wird nmedia seine im Portfolio befindlichen 1.000 Händler und 500 Lieferanten von der EDI-Plattform in den neuen Marktplatz überführen. Als Vertriebspartner wird die Messe Frankfurt neue Lieferanten und Händler, die Teil des Marktplatzes sein möchten, akquirieren.
Die Lieferanten pflegen die Daten ihrer Artikel auf dem Marktplatz in einen jeweils eigenen Webshop ein. Händler können dann über nextrade in den einzelnen Webshops nach Freischaltung durch den jeweiligen Lieferanten digital, zentral und über einen Kanal bestellen, statt manuell bei jedem Lieferanten einzeln zu ordern. Mit dem Marktplatz nextrade wird die Messe Frankfurt einmal mehr zum Partner für die digitale Transformation der Branche.“